"Du sollst nicht ... es sei denn ..." - Gottesdienst zu den 10 Geboten am 25.10.2020

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Im Namen des dreieinigen Gottes: Vater, Sohn und Heiliger Geist. Amen

Der dreieinige Gott (Kirche Dobel)

Bis Anfang November stehen die Zehn Gebote im Mittelpunkt der Gottesdienste in Neusatz-Rotensol (und Dobel).

 

In Stein gemeißelt - so werden die Zehn Gebote bis heute gern wahrgenommen. Auch nichtreligiöse Menschen kennen die Zehn Gebote und akzeptieren sie - wenigstens teilweise - als verbindliche Regeln. Für Konfirmanden sind die Zehn Gebote nach wie vor verbindlicher "Memorierstoff". Doch wie die Gebote zu verstehen sind, wie wir mit ihnen umgehen sollen und können, das erklärt sich nicht von allein.

 

Wir - Pfr. Peter Müller und Pfr. Matthias Ahrens - haben uns zwei Gebote und zwei Themen im Umgang mit den Geboten vorgenommen. Im dritten Gottesdienst in der Predigtreihe stellt Pfr. Müller klar:

 

Die 10 Gebote sind keine "Es-sei-denn-Gebote", sondern Grundlinien des Willens Gottes für unser Leben.

 

Was das für unseren Glauben und unser Leben bedeutet, erläutert er unten in der Predigt.

"Vertraut den neuen Wegen" (Evangelisches Gesangbuch 395,1)

"Gnädig und barmherzig ist der Herr" - Wir beten mit Worten von Psalm 145

Ich will dich erheben, mein Gott, du König,

und deinen Namen loben immer und ewiglich.

Der Herr ist groß und sehr zu loben,

und seine Größe ist unausforschlich.

Kindeskinder werden deine Werke preisen

und deine gewaltigen Taten verkündigen.

Gnädig und barmherzig ist der Herr,

geduldig und von großer Güte.

Dein Reich ist ein ewiges Reich,

und deine Herrschaft währet für und für.

Der Herr ist getreu in all seinen Worten

und gnädig in allen seinen Werken.

Der Herr hält alle, die da fallen,

und richtet alle auf, die niedergeschlagen sind.

Aller Augen warten auf dich,

und du gibst ihnen ihre Speise zur rechten Zeit.

Du tust deine Hand auf

und sättigst alles, was lebt, nach deinem Wohlgefallen.

Der Herr ist nahe allen, die ihn anrufen,

allen, die ihn ernstlich anrufen.

Er tut, was die Gottesfürchtigen begehren,

und hört ihr Schreien und hilft ihnen.

Amen

"... und wandert in die Zeit!" (EG 395,2)

Du sollst nicht ... es sei denn ...

Liebe Gemeinde!

 

Wie sie wissen - ich bin Theologe. Wenn ich fremden Menschen begegne, und die das mitbekommen, kommt das Gespräch ganz oft auf die Kirche. Früher, als ich Gemeindepfarrer war, war das noch mehr der Fall, aber auch heute ist es immer wieder so, dass ich auf die Kirche angesprochen werde, auf die Erfahrungen mit und die Kritik an ihr. Wenn man schon mal mit einem Theologen spricht, dann kann man das ja alles mal loswerden. Bestimmte Aussagen höre ich immer wieder einmal, mit mehr oder weniger Eloquenz formuliert:

 

Ich muss doch nicht in die Kirche gehen, um ein guter Mensch zu sein. Natürlich kenne ich die Gebote und halte mich daran, vielleicht sogar besser als manche der Kirchengänger. Gerade die Gebote, daran habe ich mich immer orientiert. Aber deswegen muss ich doch nicht jeden Sonntag in die Kirche gehen!

 

Als Kirchgänger hören wir solche Sätze nicht so gern. Da wird uns ein wenig Heuchelei unterstellt, und wer lässt sich das schon gerne unterstellen. Zumal es ja gar nicht mehr stimmt, falls es denn je gestimmt. hat. Wer heute modisch auffallen will, wird eher zur Theaterpremiere gehen als ausgerechnet in die Kirche. Da wäre ja das Publikum gar nicht groß genug. Ich finde das übrigens auch ganz richtig so; denn wenn Gott wirklich das Herz der Menschen ansieht, dann wird er es wohl auch unter dem Pullover erkennen, nicht nur unter'm Smoking.

 

Aber wie ist das mit den Geboten, in und außerhalb der Kirche? Eigentlich stimmt es ja, dass wir sie halten. Bestimmt haben sie noch niemanden umgebracht. Normalerweise bestehlen wir unsere Mitmenschen auch nicht. Im Großen und Ganzen halten wir uns an die Wahrheit. Am Sonntag putzen wir das Auto auf keinen Fall, jedenfalls nicht auf der Straße. Andere Götter haben wir nicht, der eine ist uns ja oft schon zu viel. Natürlich gibt es mal was, was andere haben und ich hätte es auch gerne. Aber wenn der Wunsch nicht allzu groß ist, können wir uns das oft selbst leisten. Knechte, Mägde und Vieh gibt's bei uns sowieso nicht mehr, von Sklaven mal ganz abgesehen. Die Bilanz ist also gar nicht so schlecht. Sogar die alten Eltern bekommen einen guten Platz im Altersheim. Die Gebote werden doch beachtet, innerhalb der Kirche und außerhalb meistens auch.

 

Ich habe einen Text gefunden, der mir zu denken gegeben hat. Es handelt sich um eine Verfremdung der 10 Gebote, wie es viele gibt, eine Neuinterpretation, aber angelehnt an den alten Text. Da heißt es zum Beispiel:

 

Du sollst den Feiertag heiligen. Es sei denn, du bist Pfarrer, denn dann musst du sonntags arbeiten.

 

Da ist was dran. Für mich waren die christlichen Feiertage oft gar nicht so feiertäglich. Aber es reicht natürlich nicht, nur die Pfarrer zu nennen. Viele andere müssen auch arbeiten am Feiertag, in den Verkehrsbetrieben, in den Krankenhäusern, in den Gaststätten, in vielen Bereichen. Du sollst den Feiertag heiligen, aber natürlich gibt es Ausnahme, da geht es halt nicht anders.

 

Zu einem anderen Gebot heißt es:

 

Du sollst nicht andere Götter haben neben mir. Es sei denn, du bist. Schlagersänger, denn dann spielst du selber Gott.

 

Naja, vielleicht nicht gleich Gott. Wenn man den Starkult betrachtet, wenn man sieht, wieviel Geld für eine Promotion-Tour ausgegeben wird und wie sich manche „Stars“ aufführen, da kann man schon mal den Eindruck haben, sie hielten sich selbst für wichtiger als andere.

 

Nun gut - sie merken jedenfalls, wie der Text aufgebaut ist. Auf jedes Gebot folgen die Worte: es sei denn, dass - und dann folgt noch irgendetwas danach. Das ist bei einigen Geboten ganz lustig, zum Beispiel beim letzten:

 

Du sollst nicht begehren deines Nächsten Knecht, Magd, Vieh oder alles, was sein ist. Es sei denn, du bist Finanzminister, denn dann sind es Steuereinnahmen.

 

Die Aufgabe des Finanzministers ist halt dazu prädestiniert, dass man sich drüber ärgert. Bei anderen dieser Neuformulierungen ärgert man sich vielleicht wirklich, zumindest stimmt es so nicht, etwa bei diesem: Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus. Es sei denn, du bist Bankier, denn dann gehört es dir ja sowieso schon. Da werden alle Bankangestellten natürlich widersprechen, und die meisten von ihnen mit Recht. Überspitzungen gehen manchmal halt auch am Ziel vorbei.

 

Es kommt mir bei dieser Reihe von Geboten aber gar nicht auf die einzelne Aussage an, sondern mehr auf den grundlegenden Gedanken. Und der ist ganz klar. Die Gebote stehen voran in ihrer ganz kurzen, prägnanten Eindeutigkeit. Du sollst nicht töten. Punkt. Ohne Wenn und Aber ist das formuliert. Was dann folgt, nimmt jedoch ein Wenn und ein Aber mit hinein. Du sollst nicht töten, natürlich nicht. Es sei denn, du bist Soldat, denn dann verteidigst du die Freiheit. Auch das ist überspitzt formuliert. Soldaten wollen ja nicht töten und sind erst recht keine Mörder. Aber es gibt dennoch die Tatsache, dass Soldaten darauf vorbereitet werden in einem Krieg Menschen zu töten, mit unseren modernen Waffen vielleicht sogar sehr viele auf einen Schlag. Und das ist dann doch eine Einschränkung des Verbotes: Du sollst nicht töten. Es sei denn – dieser Nachsatz formuliert Ausnahmen, Fälle, in denen das Gebot eben nicht gilt, vielleicht gar nicht gelten kann nach unsrer Überzeugung, oder vielleicht auch für bestimmte Leute keine Geltung hat.

 

Im Großen und Ganzen halten wir die Gebote, habe ich vorhin gesagt. Aber ich gewinne den Eindruck, dass wir sie mit dieser Einschränkung halten: Es sei denn ... Du sollst nicht falsches Zeugnis reden wider deinen Nächsten. Gewiss. Es sei denn, dass es halt mal nicht anders geht. Sie wissen doch, wie das ist. Man kann doch nicht immer jedem sagen, wie etwas gelaufen ist. Und manchmal so 'ne kleine Notlüge, da kommt es doch nicht drauf an. Außerdem macht das jeder. Das kann doch so schlimm nicht sein. Wer wäre unter uns, der diesen Satz nicht kennt, und nicht selbst schon zumindest gedacht hätte? Oder: Du sollst nicht ehebrechen. Natürlich nicht. Aber so ein Flirt, da ist doch nichts dabei; und wenn 's halt mal weitergeht, gut, das entspricht vielleicht nicht den Moralvorstellungen der katholischen Kirche, aber erstens bin ich ja evangelisch und zweitens, das machen doch so viele. So geht's eigentlich mit allen Geboten. Wir halten sie schon, aber mit gewissen Ausnahmen. Und wenn es mal rauskommt, dass wir nicht so ganz verhalten haben, wie es gut wäre, dann sagen wir: Es menschelt halt. Nobody is perfect!

 

Mose mit den 10 Geboten von Christian Scheuffele an der Gaisburger Kirche, Stuttgart

Die 10 Gebote, liebe Gemeinde, werden üblicherweise in zwei große Teile unterteilt. Und weil nach der Überlieferung Gott die Gebote dem Mose auf steinerne Tafeln geschrieben hat, deshalb sagt man: Es gibt die Gebote der ersten Tafel und die der zweiten Tafel. Die Gebote der ersten Tafel beziehen sich auf Gott selbst: Keine anderen Götter sollst du haben; kein selbstgemachtes Bild sollst du anbeten; den Namen Gottes sollst du nicht missbrauchen; und den Tag, der im wahrsten Sinn Gottes Tag ist, den sollst du nicht profan machen. Die anderen Gebote, die der zweiten Tafel, beziehen sich auf die Mitmenschen, die Nächsten, wie etwa die Eltern, die Nachbarn, und auf die Menschen überhaupt: Keinen Menschen sollst du töten, die Wahrheit sollst du sagen, dem anderen sollst du sein Recht lassen. Ganz wichtig, aber ist: die beiden Tafeln gehören zusammen. Die Gebote im Blick auf die Menschen gibt es nicht ohne die Gebote in Bezug auf Gott. Solange ich die Gebote nur an mir orientiere und an den Menschen, die ich kenne, komme ich um Ermäßigungen nicht herum. Ich bin nicht so gut, dass ich alle Gebote immer gehalten hätte. Aber ich bin mir sicher: Dass wir bis heute, nach 2500 Jahren, noch von den 10 Geboten sprechen, liegt daran, dass hinter ihnen ein anderer Anspruch steht, einer, der alle menschliche Ermäßigungen übersteigt. Weil sie Gottes Gebote sind, stellen sie mein Handeln in Frage. Weil es Gottes Gebote sind, kann nicht sagen: ich halte sie ja, es sei denn, dass es halt nicht geht. Weil es Gottes Gebote sind, sprechen sie mich in meinem Gewissen an und fragen mich, ob es nicht doch ginge, sie zu halten, ob es nicht doch ginge, dem Nächsten sein Recht zu geben, ob es nicht doch ginge, wahrhaftig zu leben und zu handeln, mehr als bisher. Weil es Gottes Gebote sind, kann ich mich nicht begnügen mit dem Status quo meiner Anständigkeit. Und ich kann erst recht nicht sagen: die anderen machen's ja auch so. Das verträgt sich nicht mit Gottes Geboten.

 

Vielleicht, liebe Gemeinde, waren Sie vor 14 Tagen auch im Gottesdienst. Da habe ich nur über das erste Gebot gesprochen.

 

Ich bin der Herr, dein Gott. Ich habe dich aus Ägypten, aus der Knechtschaft, geführt.

 

Nun bist du frei. Und ich habe gesagt: Die Gebote sind nicht drohendes Gesetz über unseren Häuptern, sondern ein Angebot dessen, der uns befreit und der mitgeht in unserem Leben; ein Angebot Gottes, der uns gut will - dann ist das die erste, wichtige Erkenntnis. Eine andere gehört allerdings dazu. Wir gewinnen sie heute. Wenn es Gottes Gebote sind, der mit uns mitgeht und leitet, dann kann ich mich nicht drum herum mogeln; dann sind es keine "Es-sei-denn-Gebote", sondern Grundlinien des Willens Gottes für unser Leben; dann sind sie eine bleibende Anfrage an mein Reden und mein Handeln.

 

Wie ist das mit den Geboten, den Kirchgängern und denen, die nicht gehen? Der Unterschied ist wirklich nicht, dass automatisch ein besserer Mensch ist, wer sonntags in die Kirche geht. Das wäre zwar schön, aber es entspricht keineswegs immer der Realität. Es werden keine Heiligenscheine an der Kirchentür ausgehändigt. Ich glaube eher, dass wir in der Kirche etwas davon ahnen, dass Gottes Gebote uns umfassend ansprechen wollen, nicht als niederdrückendes Gesetz, sondern als Anreiz, als Ansporn, als gute Gabe, die für uns zur Aufgabe wird; eben weil es Gottes Gebote sind.

 

Amen

"... auf die uns Gott gesandt" (EG 395,3)

Wir beten, wie Jesus uns gelehrt hat:

Vater unser im Himmel!

Geheiligt werde dein Name.

Dein Reich komme.

Dein Wille geschehe,

wie im Himmel, so auf Erden.

Unser tägliches Brot gib uns heute.

Und vergib uns unsere Schuld,

wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.

Und führe uns nicht in Versuchung,

sondern erlöse uns von dem Bösen.

Denn dein ist das Reich

und die Kraft

und die Herrlichkeit in Ewigkeit.

 

Amen.

Geht hin ...

Auferstehungskreuz Neusatz

... geht trotz aller Unsicherheit zuversichtlich in die kommenden Tage:

 

Der Herr segne dich und behüte dich.

Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig.

Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.

Amen

 

 

 

Pfr. Peter Müller